Stellungnahme von „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ zur Einstufung von „Ende Gelände“
„Die Kirchen() im Dorf lassen“ protestiert gegen die Diffamierung des Bündnisses Ende Gelände als verfassungsfeindlich und erklärt sich solidarisch mit seinen Zielen. Vor allem die
Gleichsetzung von Antikapitalismus und Verfassungsfeindlichkeit ist ein unerträglicher Angriff auf die Meinungsfreiheit. Angesichts zahlreicher klar antikapitalistischer Beschlüsse christlicher
Kirchen werden damit auch Christ*innen weltweit stigmatisiert – was einen Angriff auch auf die Religionsfreiheit bedeutet.
Der Berliner Verfassungsschutz hat Ende Gelände in seinem neuesten Bericht als „linksextremistisch“ und daher verfassungsfeindlich eingestuft. Das eröffnet die Möglichkeit geheimdienstlicher
Maßnahmen (Überwachung, Abhören von Telefonaten, Ausspähen von Computern, Einsatz von V-Männern etc.) gegen diese Gruppierung. Mit Ende Gelände wird eine der bedeutendsten Akteure der
Klimagerechtigkeits-Bewegung angegriffen. Da wir uns als Teil dieser Bewegung verstehen, müssen wir dazu Stellung beziehen.
Antikapitalismus gleich verfassungsfeindlich?
In der äußerst knappen Begründung heißt es, Ende Gelände nehme „Gewaltanwendung mindestens billigend in Kauf (…) So wurden Teilnehmende zu Baggerbesetzungen motiviert.“ Zudem „geriere“ das
Bündnis sich nur als Klimaschutz-Akteur, verfolge tatsächlich aber weitergehende Ziele: „Auf eine Verortung des Bündnisses im linksextremistischen Spektrum deutet auch eine unmittelbare
Verknüpfung der Themenfelder Anti-Kapitalismus und Anti-Faschismus hin.“ (1) (zur Argumentation des Berichts s. u. „Exkurs“)
Diese Gleichsetzung von Antikapitalismus mit Verfassungsfeindlichkeit bedeutet einen massiven Angriff auf die Meinungsfreiheit, der bis tief in die sog. Mitte der Gesellschaft zielt. Grüne
Jugend, ‘solid und Jusos solidarisierten sich mit dem Slogan „Wir sind linksextrem“. Das ist schlagfertig und macht Spaß, besetzt auf kreative Weise das diffamierend gemeinte Vokabular.
Die Bedrohung ist allerdings durchaus ernst zu nehmen: Prompt reagierte die WerteUnion und forderte nicht nur ein bundesweites Verbot von Ende Gelände sondern darüber hinaus: „Der
Verfassungsschutz muss jetzt auch bei der Grünen Jugend prüfen, ob es sich um eine verfassungsfeindliche Bestrebung handelt. Denn wer sich mit extremistischen Gruppierungen solidarisiert,
sollte zumindest als Verdachtsfall geführt werden.“ (2)
Diese Drohung gilt allen, die gegen die Einstufung und Begründung durch den Verfassungsschutz protestieren und sich darin mit Ende Gelände solidarisieren: „Jetzt zeigt die vereinigte linke
Jugend, was sie wirklich von unserer freiheitlichen Demokratie hält: Nichts!“ (3)
Die Argumentation ist perfide: Die Einstufung von Ende Gelände als verfassungsfeindlich wird als Tatsache gesetzt, jede Kritik daran als Solidarität mit Verfassungsfeinden gewertet, die
Kritiker*innen sind folgerichtig selbst Verfassungsfeinde. Die Absicht, die Klimabewegung so zu spalten, ist offensichtlich. Aber über diese vordergründige Taktik hinaus sind – sollte sich
diese Argumentation durchsetzen – zentrale Grundrechte bedroht, nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch die Religionsfreiheit.
Antikapitalismus in christlicher Lehre
Obwohl von den institutionalisierten Kirchen des globalen Nordens oft verschwiegen, sind Kritik und auch deutliche Ablehnung des neoliberalen Kapitalismus zentraler Bestandteil (welt)kirchlicher
Verkündigung. Schon die Befreiungstheologie prangerte den „Götzen Kapitalismus“ als lebensfeindliches, dem göttlichen Heilsplan entgegenstehendes System an. Diese fundamentale Kritik fand bald
Eingang auch in die offiziellen Beschlüsse der protestantischen Kirchen:
Der Lutherische Weltbund (4) nahm das Konzept vom „Götzen Kapitalismus“ auf und forderte: „Als Communio müssen wir der falschen Ideologie der neoliberalen wirtschaftlichen Globalisierung so
begegnen, dass wir dieser Realität und ihren Auswirkungen Widerstand entgegensetzen, sie grundlegend umwandeln und verändern.“
Die Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in Accra 2004 verurteilte die Ideologie des Neoliberalismus als „häretisch“, der Widerstand gegen dieses System sei also zwingend: „Die
Integrität unseres Glaubens ist in Gefahr, wenn wir angesichts des bestehenden Systems neoliberaler ökonomischer Globalisierung schweigen oder uns weigern, zu handeln.“ Die Kritik am
Neoliberalismus bezieht sich ausdrücklich auch auf die durch Profitgier und den Zwang zu unbegrenztem Wachstum bedingte Zerstörung der Schöpfung. In sprachlich enger Anlehnung an die Barmer
Erklärung der Bekennenden Kirche, die Christen zum Widerstand gegen das NS-Regime aufrief, heißt es im Bekenntnis: „Deshalb verwerfen wir die bestehende Weltwirtschaftsordnung, die uns der
globale neoliberale Kapitalismus aufzwingt.“ Auch die Sao-Paulo-Erklärung (5) von 2012 schreibt klipp und klar: „Daher bemühen wir uns um die Überwindung des Kapitalismus.“
Mit Amtsantritt von Papst Franziskus findet Kapitalismuskritik Eingang auch in die offizielle katholische Lehre, vor allem über das befreiungstheologische Konzept des Götzen: „Wir haben neue
Götzen geschaffen. Die Anbetung des antiken goldenen Kalbs (vgl. Ex 32,1–35) hat eine neue und erbarmungslose Form gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur einer Wirtschaft ohne
Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel.“ (6)
Wenn auch Franziskus in seinen Äußerungen meist hinter der analytischen Klarheit protestantischer Texte zurückbleibt, ist die Dringlichkeit seines Appells doch deutlich: „Diese Wirtschaft
tötet.“ Daher sucht er den Dialog auch mit nicht-kirchlichen Akteuren, wenn er sich z.B. 2015 mit Vertreter*innen der Sozialen Bewegungen in Bolivien trifft: „Wenn das Kapital sich in einen
Götzen verwandelt und die Optionen der Menschen bestimmt, wenn die Geldgier das ganze sozioökonomische System bevormundet, zerrüttet es die Gesellschaft, verwirft es den Menschen, macht ihn zum
Sklaven, zerstört die Brüderlichkeit unter den Menschen, bringt Völker gegeneinander auf und gefährdet – wie wir sehen – dieses unser gemeinsames Haus, die Schwester und Mutter Erde. (…) wir
wollen eine Veränderung, eine wirkliche Veränderungen, eine Veränderung der Strukturen. Dieses System ist nicht mehr hinzunehmen.“
Konsequenzen
Dieser (nur kleine) Ausschnitt aus kirchlichen Texten zeigt deutlich, dass neoliberaler Kapitalismus von den Kirchen nicht nur grundlegend kritisiert, sondern abgelehnt wird und überwunden
werden muss. (Die zögerliche Haltung vieler Landeskirchen des globalen Nordens ändert daran nichts!) Ausschlaggebend für diese Haltung der Kirchen ist die weltweite soziale Ungerechtigkeit und
die systembedingte Zerstörung der Schöpfung – beides fließt im neuen Begriff der Klimagerechtigkeit zusammen –, die im Widerspruch zum christlichen Glauben an das Leben in Fülle stehen.
Am Einsatz für die Schöpfung und dem Kampf für eine gerechte Welt – und damit der Überwindung des globalen neoliberalen Systems (kurz: Kapitalismus) – führt darum für Christ*innen kein Weg
vorbei. Wenn die Gleichsetzung von Antikapitalismus und Staatsfeindlichkeit durch den Verfassungsschutz beibehalten wird, bedroht der Staat nicht nur soziale Bewegungen wie Ende Gelände, sondern
auch Christ*innen mit dem Verdikt „Staatsfeind“.“
Unsere Konsequenz ist daher: „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ protestiert
gegen die Diffamierung und Überwachung von Ende Gelände durch den Verfassungsschutz,
gegen die Gleichsetzung von Antikapitalismus mit Verfassungsfeindlichkeit,
gegen die Bedrohung all derer, die sich mit Ende Gelände solidarisieren,
gegen die Einschränkung von Meinungs- und Religionsfreiheit.
Exkurs: Die abenteuerliche Argumentation des Verfassungsschutzes
Es mag erstaunen, dass antikapitalistische und – vor allem! – antifaschistische Einstellungen bereits ausreichen, um als linksextrem eingestuft zu werden. Dazu aber der Verfassungsschutz: „Der
Begriff „Anti-Faschismus“ leitet sich aus linksextremistischer Sicht aus dem Kapitalismus ab und ist politisch eindeutig konnotiert. (…) Dabei geben sie [autonome Antifa-Gruppen] nicht zu
erkennen, dass ihr „Faschismus“-Verständnis eine Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung impliziert.“ (S. 146f) Merke: Antifaschismus ist – aus linksextremistischer Sicht! –
gleichzusetzen mit Linksextremismus. Ein lupenreiner Zirkelschluss – durchaus nicht der einzige in diesem Papier.
Auch Antikapitalismus wird in ganz ähnlicher Weise mit Linksextremismus gleichgesetzt – natürlich nur für Linksextremisten: „Anti-Kapitalismus in linksextremistischem Verständnis (…) hat (…)
nicht nur die Abschaffung der marktwirtschaftlichen Ordnung, sondern auch der parlamentarischen Demokratie zum Ziel.“ (S. 150) Jetzt fehlt nur noch die Gleichsetzung von Linksextremismus mit
Verfassungsfeindlichkeit: „Linksextremismus ist ein Sammelbegriff für alle gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen, die auf einer Verabsolutierung der
aufklärerischen Werte von Freiheit und Gleichheit beruhen.“ (S. 137)
1 Verfassungsschutzbericht Berlin 2019, S. 162.
2 Dr. Hans-Georg Maaßen, ehemaliger Verfassungsschutzpräsident und Mitglied der WerteUnion, PM 21.5.2020.
3 Stefan Müller, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe.
4 Vollversammlung Winnipeg 2003.
5 Von der Vollversammlung des Ökumenisches Rates der Kirchen, Busan 2013 bestätigt.
6 Evangelii Gaudium 2013.