Einlassung im Prozess am 22.5.2023 vor dem AG Erkelenz wg. einer Kreuzaufstellung im Tagebauvorfeld am 22.5.2022

Sehr geehrtes Gericht,

vorweg: ich stehe hier heute ohne Anwältin, und da ich zum ersten Mal vor einem Gericht stehe, bitte ich Sie um Nachsicht, wenn ich mit dessen Gepflogenheiten nicht vertraut bin.

 

1. Rolle als Repräsentantin

Dass ich mich selbst vertrete, hat einen guten Grund: Es geht um die Aufstellung eines Kreuzes, also eine religiöse Handlung. Dieses Handeln und meine Motivation dazu ist daher etwas sehr persönliches, das ich keinesfalls durch eine mir kaum bekannte Vertreter vortragen lassen kann.

Mir wird vorgeworfen „am 22. 05. 2022 gegen 11 h in Lützerath“ „mit mehreren Personen das sog. Bonhoeffer-Kreuz“ hinter dem Wall aufgerichtet und damit Hausfriedensbruch begangen zu haben – so der Strafbefehl.

Ich kann Ihnen versichern, dass ich mich an diesem Tag „gegen 11 Uhr“ gute 70 km entfernt befand, wofür ich auch Zeuginnen beibringen könnte. Dabei könnte ich es belassen.

Aber so einfach ist es nicht, es geht hier nicht um eine einfach Ordnungswidrigkeit, um falsches Parken oder ähnliches. Hier geht es um Größeres – nicht um „Geständnis“ sondern um „Bekenntnis“.

Ich werde daher nicht ableugnen – auch nicht indirekt durch Verschweigen – an diesem Tag gemeinsam mit einem guten Dutzend anderer Menschen das Bonhoeffer-Kreuz im Rahmen eines Gottesdienstes wieder aufgerichtet zu haben – allerdings nicht um 11 h sondern nachmittags ca. 15:30 h.

Ich bin erstaunt über die ungenaue Recherche der Polizei, der Staatsanwaltschaft, wo doch die Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“, die zu dem Gottesdienst eingeladen hatte, alles, was sie tut, im Netz dokumentiert, mit Datum und auch Uhrzeit. Da im Strafbefehl das entsprechende Video als Beweismittel genannt wird, war diese Webseite auch der Polizei bekannt.

Noch erstaunter aber war ich – waren wir alle, die an den Gottesdiensten von „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ teilnahmen – dass ich lange Zeit die einzige war, der ein Strafbefehl zugestellt wurde. Die einzige von mehr als einem Dutzend, die auf dem Video gut – und durchaus auch in aktiverer Rolle als ich – zu sehen sind. Wer trifft eine solche Auswahl – und warum? Sie wird von RWE getroffen, das habe ich inzwischen gelernt, Hausfriedensbruch ist ein Antragsdelikt. Über die Gründe, dass ausgerechnet ich und nur ich angezeigt wurde, kann ich nur spekulieren.

 

Viele Menschen haben damals ihre Solidarität dadurch ausgedrückt, dass sie sich auf einem Plakat abbilden ließen, das dem Gericht vorliegt – ich habe es aber sicherheitshalber nochmals mitgebracht. Darauf steht:

„Eine von uns wird angeklagt, weil sie bei einer Kreuzaufstellung im Tagebauvorfeld dabei war. Eine von sehr vielen. Dieser Strategie von RWE und Justiz, Einzelne herauszugreifen, um die Gruppe einzuschüchtern und zu spalten, stellen wir uns solidarisch entgegen. Unsere Antwort: „Wir alle haben ein Kreuz aufgestellt.

Darunter stehen 40 Menschen mit Fotos und vollem Namen, tlw. mit Berufsbezeichnung.

 

Wir haben es den Behörden damit leicht gemacht – wenngleich nicht alle Menschen, die auf dem Plakat sind, auch bei dieser Kreuzaufstellung dabei waren, und nicht alle die, die dabei waren, sich auf dem Plakat wiederfinden. Aber es gibt eine hinreichend große Schnittmenge.

Wir haben es den Behörden also leicht gemacht – aber es geschah lange nichts. Erst nach dem 11. Januar, nach der Räumung und Zerstörung Lützeraths, kam ein zweiter Strafbefehl – diesmal mit der Möglichkeit, eine Anzahl Tagessätze zu zahlen, während ich – ohne diese Möglichkeit – gleich zum Prozess geladen wurde. Eine offensichtliche Gemeinsamkeit gibt es aber: Aus einer Gruppe offenkundig überdurchschnittlich gut situierter Menschen wurden zwei herausgegriffen, die dort – in soziologischer Hinsicht – nicht gut hineinpassen: zwei in Armut lebende, alte, chronisch kranke lesbische Frauen. Keine Entscheidung von Polizei oder Justiz, nein - diese Auswahl traf RWE.

 

Warum breite ich das so aus?

Diese Entscheidung von RWE ist wichtig für meine Rolle hier und heute, vor diesem Gericht. Vielleicht war es ja die Absicht des Konzerns, zu spalten, zu vereinzeln. Aber es ist das Gegenteil geschehen: Ich stehe hier ganz offensichtlich als Repräsentantin einer Gruppe, nicht als Individuum. Repräsentantin einer Gruppe, für die ich nur begrenzt repräsentativ bin. Eine schwierige Rolle, die ich mir nicht ausgesucht habe, für die ich kein Mandat habe - in die mich allein RWE gezwungen hat.

Und daher muss ich nicht nur mich allein erklären – oder, wenn Sie wollen: verteidigen - sondern sehr, sehr viele: Nicht nur diejenigen, die bei der Kreuzaufstellung, bei dem Gottesdienst am 22. Mai letzten Jahres dabei waren, nicht nur die vielen Menschen, die immer wieder zum Bonhoeffer-Kreuz hinausgegangen sind, um dort zu beten, innezuhalten, Kraft zu suchen, nicht nur die zahlreichen Teilnehmer*innen an weiteren Kreuzaufstellungen an der Kante - sondern alle Menschen, die ihr Gewissen dazu treibt, der Zerstörung der Schöpfung etwas entgegenzusetzen – und sei es nur ein gelbes Kreuz.

Ich werde daher jetzt im Plural sprechen – nur Vertreterin einer viel größeren Gruppe. Und ich hoffe, es gelingt mir, sie auch angemessen zu vertreten.

 

2. Kreuzaufrichtungen als spirituelle Praxis

Wir haben viele gelbe Kreuze aufgestellt:

·         Das erste bereits im Oktober 2020 auf dem Boden des zerstörten „Immerather Domes“. Weit über 100 Menschen kamen zu diesem Gottesdienst, darunter auch der schon sehr betagte ehemalige Pfarrer von Immerath.

·         Das „berühmteste“ im Januar 2022, am Jahrestag der Zerstörung dieser Kirche, das es sogar in die Tagesschau schaffte.

·         Das „schönste“ – darin waren viele einige – war das Bonhoeffer-Kreuz.

Insgesamt gab es weit über ein Dutzend Kreuzaufstellungen, die meisten wurden auf der Internetseite von „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ dokumentiert. Kurz: Das Aufrichten von gelben Kreuzen an Orten von Zerstörung – als Mahnmal, als Schutz, als Zeichen der Hoffnung - gehörte von Anfang zu unserer spirituellen Praxis.

 

Einige dieser Kreuze wurden von RWE wieder abgerissen, manche riss der Sturm um. Aber zunehmend respektierte RWE diese religiösen Symbole, tolerierte ihre Aufstellung. In einem Schreiben im Juni 2021 versprach uns RWE sogar, in Zukunft behutsamer mit den Kreuzen umzugehen und uns vor einer - aus Sicherheitsgründen evtl. nötigen – Entfernung vorab zu informieren, damit wir sie selbst vornehmen könnten. Leider wurde diese Zusage nie eingehalten.

 

Das Bonhoeffer-Kreuz wurde erstmals im Oktober 2021 aufgerichtet – im Rahmen eines Gottesdienstes zum Wort Dietrich Bonhoeffers von 1933:

Es reicht nicht, die Opfer unter dem Rad zu verbinden. Man muss dem Rad selbst in die Speichen fallen.“

In der Einladung zu diesem Gottesdienst hieß es:

Im Angesicht des sich immer weiter ins Land fressenden Baggers wollen wir in diesem Gottesdienst den Worten Bonhoeffers nachspüren. Und wir werden nach Parallelen suchen zu unserer aktuellen Situation, uns von dem Menschen Bonhoeffer in unserem Widerstand inspirieren lassen.“

Dem sehr realen Baggerrad, das sich mit immer größerer Geschwindigkeit auf Lützerath zubewegte, fielen wir jedoch nicht mit entsprechend handfesten Aktionen in die Speichen. Das taten andere, mutigere Menschen, die Schienen blockierten, Straßen besetzten, Bagger und Kraftwerke zum Stillstand brachten – wenn auch nur für einige Stunden. Ihnen galt und gilt unser Respekt.

 

Wir jedoch stellten zwischen den Bagger und das bedrohte Dorf ein Kreuz.

Von nun an sahen die Besucher*innen der Mahnwache Lützerath, wenn sie ihren Blick auf das Loch, auf den Bagger richteten, immer auch das gelbe Kreuz – ein Zeichen des Protests, aber immer auch ein Zeichen der Hoffnung auf eine bessere, gerechtere Welt: „Dein Reich komme!“

 

Unser Kreuz stand dort bis zum 24. 2. 2022. An diesem Tag – dem Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine und – welche Koinzidenz! – am Tag des ersten Polizeieinsatzes in Lützerath seit über einem Jahr – an diesem Tag wurde es von RWE-Mitarbeitern abgerissen.

Auch die erneute Aufrichtung des Kreuzes am 22. Mai 22 war eingebettet in einen Gottesdienst, diesmal gehalten von der "Offenen Gemeinde Heilig Kreuz" aus Neuwied als Gast bei uns an der Kante. Es war eine völlig friedliche, symbolische, eine „religiöse“ Handlung. Und sie war eine inzwischen bekannte, quasi „gewohnheitsmäßige“ Praxis: Die Mitarbeiter*innen von RWE sahen aus der Ferne zu, blieben entspannt in ihren Autos. Auch im Weiteren störte das Kreuz ganz offensichtlich niemanden: Es blieb unangetastet – bis zum 11. Januar, bis zur Zerstörung ganz Lützeraths.

Auch die Übersteigung des Walles war rein symbolisch: Wir hätten auch knapp 50 m weiter durch die in diesen Tagen fast immer weit geöffnete Schranke gehen können. Ich selbst habe in den Wochen vor dem 22. Mai immer wieder Menschen durch die offene Schranke zum Gottesdienst an der Kante geführt, z.B. eine Gruppe von Pfadfinder*innen oder Studierende der Katholischen Hochschule Aachen samt ihrer Dozenten. Ich erwähne das auch, um klar zu machen: Der religiöse Charakter unserer Gottesdienste wurde auch von diesen „religiösen Spezialisten“ stets anerkannt.

Aber wir wählten ganz bewusst den „direkten“ Weg, den Weg über den Wall: Um deutlich zu machen, dass wir in bewusster Abwägung handeln, der Abwägung zwischen unserer Gewissenverpflichtung, die Verbrechen an der Schöpfung, die hinter diesem Wall vor sich gehen, anzuprangern, und dem juristischen Verbot, fremdes Eigentum zu betreten.

 

3. Eigentumsrechte vs. Religionsfreiheit

Denn allein darum geht es hier, vor diesem Gericht: um das Eigentumsrecht von RWE. Und das daraus resultierende Recht, Menschen – willkürlich, nach eigener Auswahl – anzuklagen und bestrafen zu lassen; und letztlich um das ebenfalls aus diesem Eigentum abgeleitete Recht, Menschen zu vertreiben, Dörfer zu vernichten, das globale Klima nachhaltig zu schädigen und so die Lebensgrundlagen für Millionen Menschen auf dieser Erde zu zerstören.

Auf der anderen Seite stehen Menschen, die aus tiefster Überzeugung gegen diese Entwicklungen protestieren, die mahnen und klagen. Völlig gewaltfrei, friedlich, in symbolischen, religiösen Formen.

Die heute verhandelte Anklage stellt die mit Eigentumsrechten begründeten Interessen eines Konzerns über das Grundrecht auf Religionsfreiheit.

 

Religionsfreiheit ist ein Grundrecht von Verfassungsrang, ein Menschenrecht. Sie umfasst deutlich mehr als die Freiheit, bestimmte Überzeugungen zu haben, einem quasi privaten Glauben anzuhängen. Und sie bezieht sich nicht nur auf die Rechte von etablierten, ja, durch steuerliche Regelungen aufs engste mit dem Staat verbundenen Kirchen.

Der Ökumenische Rat der Kirchen erklärte dazu schon 1969:

Das Recht für alle Menschen, gleich welchen Glaubens und welcher Weltanschauung, dem eigenen Gewissen zu folgen, ist von grundlegender Bedeutung für alle menschlichen Freiheiten.“

Und legte 1975 nach, indem er feststellte, dass Religions- und Gewissensfreiheit „unvermeidlich mit dem Kampf um ein besseres Lebens für die sozial Benachteiligten in allen Völkern verknüpft sind.“

 

Denn ihre tatsächlich fundamentale Bedeutung zeigt Religionsfreiheit immer dann, wenn es um Minderheiten, um Marginalisierte geht. Zum Beispiel, als 1969 – endlich! - den Zeug*innen Jehovas das Recht auf Kriegsdienstverweigerung eingeräumt wurde. Oder im Recht auf koschere Schlachtung für Menschen jüdischen Glaubens – ein Recht, das den Muslimen in Deutschland lange Zeit vorenthalten wurde.

Auch uns wurde dieses Recht immer wieder vorenthalten:

·         Zum Beispiel in Lützerath im Januar 2021, als die Polizei einen Gottesdienst – auf einer öffentlichen Straße - regelrecht stürmte.

·         Zum Beispiel in Hamm im Sommer 2021, wo der „Kreuzweg für die Schöpfung“ von der Polizei brutal gestoppt, mit Festnahmen und – ja, sogar das! - mit Pfefferspray bedroht wurde, wo sie mitten aus einem Gottesdienst Menschen festnahm und den daraufhin entstehenden Protest als „versuchte Gefangenenbefreiung“ kriminalisierte. Wo sie Menschen zu Boden stieß und verletzte.

·         Zum Beispiel, wenn sie – ausgerechnet! – einem Pfarrer im Ruhestand die „Leitung“ einer nicht genehmigten Versammlung vorwirft, weil er bei einer Prozession höhere Redeanteile hatte als andere. So geschehen in diesem Januar in Holzweiler.

·         Zum Beispiel, wenn die Polizei Aachen in diesem Februar als Voraussetzung für die „Duldung“ einer Andacht anlässlich der Herausgabe des in Lützerath „geräumten“ Kreuzes aus der Eibenkapelle vorherige Einsicht in alle dort verlesenen Texte verlangt.

 

Diese Liste ließe sich verlängern. Immer ist es das gleiche Bild: Die Polizei unterbindet die freie Religionsausübung. Die Exekutive maßt sich an, über den religiösen Charakter unserer Gottesdienste zu urteilen, um sie als politische Versammlung einstufen – und damit verbieten zu können.

Ich zitiere nochmals den ÖRK: „Das Evangelium führt uns dazu, Verletzungen der Menschenrechte in unseren eigenen Gesellschaften immer wacher aufzugreifen und zu korrigieren sowie neue Formen der Solidarität (...) einzugehen. Es führt uns in den Kampf der Armen und Unterdrückten innerhalb und außerhalb der Kirche um uneingeschränkte Anerkennung ihrer Menschenrechte.“ (Vollversammlung des ÖRK, Nairobi 1975)

Diesen Grundsätzen fühlen auch wir uns verpflichtet. Mit unseren Kreuzaufstellungen verteidigen wir in religiösen Formen und aus Gewissensgründen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit von Millionen heute lebender Menschen und zukünftiger Generationen.

4. Hausfrieden? Krieg gegen die Schöpfung!

Ein vierter und letzter Punkt: Uns wird Hausfriedensbruch vorgeworfen.

Es ist schon zutiefst pervers, Menschen, die ein Kreuz in der Wüstenei des Tagebaus aufrichten, den Bruch des Friedens vorzuwerfen.

Denn Frieden, gar einen „Hausfrieden“, den wir hätten brechen können, gibt es hinter dem Wall nicht. Häuser gibt es dort schon lange nicht mehr, auch keine Bäume, Sträucher, irgendein Leben. Dort gibt es nur noch nackte, rohe Gewalt. Dort herrscht Krieg, ein „Krieg gegen die Schöpfung“ (Genscher), ein Krieg gegen das Leben selbst.

Und wir haben in diesem Krieg ein Kreuz zwischen die Linien getragen – so, wie wir es auch während der Räumungstage in Lützerath immer wieder getan haben. Und wir werden dies wieder und immer wieder tun – denn wir sagen mit Papst Leo:

Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht, Gehorsam aber zum Verbrechen.“

 

5. Und zum Schluss

Ein Letztes – und ich verlasse damit meine Rolle als Repräsentantin und spreche allein für mich: Eine Strafe, zu der mich dieses Gericht für meine Teilnahme an der Kreuzaufstellung verurteilen sollte, werde ich solidarisch tragen. Solidarisch mit den Menschen, die gemeinsam mit mir Kreuze aufgerichtet haben, mit allen, die in und um Lützerath Widerstand geleistet haben und dafür Repression erfahren. Mit den Klimaaktivist*innen in aller Welt, die sehr viel härterer Repression ausgesetzt sind.

Besonders verbunden fühle ich mich den jungen Menschen, die kürzlich zu neun Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt wurden – weil sie für ein paar Stunden die Gleise einer Kohlebahn blockierten!

Ich werde eine Strafe also solidarisch tragen, aber ich kann sie – auch dies aus zutiefst religiösen Gründen – nicht akzeptieren, nicht „anerkennen“. Ich kann und werde daher eine Geldstrafe nicht zahlen.