24. Juli 2021
Abendgebet vor der Sommernacht
Seit über einem Jahr gibt es unsere Mahnwache am Wendehammer in Lützerath. Angemeldet, nachdem die Landstraße zwischen Lützerath und Keyenberg zerstört wurde und dieser Ort hier zu einem Ort wurde an dem die Welt, wie wir sie hier kannten, zu enden schien.
Aber über was halten wir Wacht hier an diesem Ort, an dem die zerstörerische Kraft von Menschenhand so nahe ist, so sichtbar und fast spürbar? Wissen wir denn nicht, dass wir hier am Wendehammer und in Lützerath die Bagger nicht stoppen können. Erkennen wir denn nicht unsere Ohnmacht gegenüber denen, die hier unser Land verheeren? Was gibt uns die Kraft, diese Zerstörung vor unseren Augen (und nachts auch vor unseren Ohren) auszuhalten?
Wir spüren, dass wir an diesem Ort richtig sind, das wir hier nicht nur sein müssen, weil es eben sein muss, sondern dass wir hier auch sein wollen, weil dies hier der Ort ist, an dem wir erleben und erfahren, dass es einen grundsätzlichen Wandel braucht, für uns selbst, aber auch für uns alle.
Wir haben hier gesehen, wie die Straße zerstört wurde, die die Menschen verband, wir haben gesehen, wie hier die Bäume fielen an der Straße und im Ort, wir haben gesehen, wie hier Häuser zerstört wurden, wie die Wege im Hinterland gesperrt wurden, wie die Wälle immer nähergekommen sind, Schutzwälle genannt, die doch nicht weiter schützen als die Zerstörung von Feldern und Äckern und die auch diesen Ort bald von der Außenwelt abschneiden und die Zerstörung des Ortes Lützerath schützen sollen.
Aber wir halten hier nicht nur Wacht für uns selbst und die Menschen, die hier in den Orten leben oder die immer wieder hierherkommen, weil für sie und uns hier ein großes Unrecht geschieht an der Natur und an den Menschen der Gegend hier.
Wir halten auch Wacht stellvertretend für alle, die die zerstörerischen Auswirkungen der archaischen Energiegewinnung in den Kraftwerken Neurath und Niederaußem, die wir von hier aus sehen können, auch an anderen Orten dieser Erde zu spüren bekommen, die nicht wissen oder ahnen, dass die Flutwellen, die tropischen Stürme, die Dürre, die ihre Lebensgrundlage und ihr Leben selbst bedroht auch durch diese Kraftwerke hier in unserem Blick häufiger oder stärker werden können. Diese Menschen, die nicht hier sein können, und ihr Leid schließen wir in unsere Gedanken mit ein.
Aber wir sehen auch, dass hier in Lützerath und seit einigen Monaten auch hier direkt an der Mahnwache andere Menschen Wacht halten, um auf verlassende Häuser, leere Hallen aufzupassen, oder vielleicht auch, um uns zu bewachen. Das können wir beängstigend finden oder belustigend, wir können die Menschen bedauern oder ihnen Gleichmut entgegenbringen oder über sie verärgert sein. Doch auch hier sehen wir, wie gestört ein System sein muss, wie fragil eine Gesellschaft sein muss, um solch sinnlose Beschäftigungen zu schaffen und wie ungerecht das Vermögen verteilt sein muss, damit Konzerne Menschen für solche Tätigkeiten bezahlen zu können, selbst wenn es schlecht bezahlt wird.
Wie sinnlos muss eine Wacht sein, etwas zu hüten, nur damit es bald darauf zerstört werden kann.
Wir erleben aber auch immer wieder Momente, die uns Kraft geben, wenn hier neue Menschen herkommen, um zu bleiben, vielleicht hier auch was aufbauen, wenn hier Menschen immer wieder hin zurückkommen, die schon mal hier waren, weil sie dieser Ort nicht mehr los lässt, wenn Menschen hierherkommen, um mit uns Musik, einen Gottesdienst, ein gemeinsames Essen oder einfach nur das zusammen sein zu genießen.
Für mich war so ein Moment der Freude, als wir nach dem kalten Winter und Frühjahr und den schwierigen Corona bedingten Maßnahmen am Ende des Lebenslaute-Probewochenendes hier ein schönes und vor allem großes Konzert mit anschließendem Essen hatten, als zum ersten Male wieder viele Menschen hier an der Mahnwache zusammenkamen, fast wie im letzten Sommer, als es hier regelmäßig Konzerte und andere Aktionen gab.
Ich kann mich noch gut an die Frühzeit der Mahnwache erinnern, nicht an die ersten Tage zwar (ich glaube, die Mahnwache wurde an einem Mittwoch erstmalig angemeldet), aber ab dem ersten Wochenende war ich regelmäßig hier.
Am Anfang kam ich als Gast, kannte wenige Gesichter von Wald- und Dorfspaziergängen aus dem Hambi oder aus Keyenberg. Ich kam, um hier am Sonntagnachmittag einen Kaffee zu trinken und den Menschen der Mahnwache meine Solidarität auszudrücken. Anfang August war ich mal an einem Dienstagabend hier, als es ein gemeinsames Dinner am Wendehammer gab. Damals hieß es immer noch, die Mahnwache geht jetzt noch bis zum Wochenende und dann sehen wir weiter.
Irgendwann habe ich dann auch mal angefangen, hier Kaffee zu kochen, wenn der alle war; dann Geschirr zu spülen und ich weiß noch, dass ich schon etwas aufgeregt war, als ich zum ersten Mal allein an der Mahnwache war. Wo ich vorher Gast war, war ich plötzlich die Mahnwache und es kamen Menschen, die stellten mir Fragen zu diesem Ort, Fragen, die sie sonst anderen Menschen gestellt hatten.
Das war die Zeit, als ich auch zu einem Teil der Mahnwache wurde, mich dafür verantwortlich fühlte und mich hier begann, heimisch zu fühlen. Das war die Zeit, in der ich auch ein Wächter wurde an diesem Ort, an dem ich mit fremden Menschen sprach, die Menschen sogar selbst ansprach, ihnen Kaffee und Informationen anbot.
Damals waren die Bagger noch ein gutes Stück weiter weg, der Wall noch nicht so aufdringlich nah, und die Alleebäume standen noch, ebenso einige mehr Häuser im Ort.
Und auch, wenn sich seit damals hier vieles verändert hat - und das augenscheinlich nicht zum Besseren - so geht die Wacht weiter und die Menschen, die hier in Lützerath nach wie vor sind, fühlen sich enger zusammengehörend.
So hat die Zerstörung, die Lützerath teilweise schon ereilt hat und die auch die Dörfer Keyenberg, Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich, Berverath sowie den Roitzer Hof und den Eggeratherhof auch weiterhin bedroht, auch was Gutes mit den Menschen gemacht und ihnen gezeigt, dass wir Menschen auch anders mit uns und unserer Umwelt umgehen können.
Und schließlich sind wir hier, weil wir Wacht halten für Menschen, die an diesen Ort kommen, entweder, weil sie sich hierher verirrt haben, weil sie ihr Navi hierhergeführt hat, weil die Welt hier bis vor kurzem noch nicht endete, weil sie hierhergekommen sind, um sich die Zerstörung mal aus der Nähe anzusehen oder weil sie halt schon immer hier lang gekommen sind bei ihren Spaziergängen oder ihren Fahrradtouren.
Und wir sind hier, weil wir mit diesen Menschen ins Gespräch kommen wollen, sie informieren wollen über das was hier gerade geschieht oder vor kurzem geschehen ist, ihre Fragen beantworten wollen, so gut wir das können und ihnen berichten wollen, was hier demnächst geschehen soll, wenn dieses kleine Paradies hier zerstört, die Menschen vertrieben und danach alles in dem großen Loch verschwinden soll, das sich hier weiter in das Land fressen will.
Und wir bitten die Menschen, von diesem Ort zu berichten, immer wieder zu kommen, entweder allein oder mit Freunden und Bekannten, mit Kind und Kegel, Vater und Großmutter, mit Tante und Neffe, mit Nachbarn und wem auch immer, der uns an diesem Ort hier unterstützen will.
Denn kaum ein Mensch, der zum ersten Mal überhaupt oder seit längerer Zeit wieder an diesem Ort vorbeikommt, bleibt von dem, was er hier sieht, unberührt.
Wir gedenken der Pilger, die vor über drei Wochen aufgebrochen sind, mit dem Kreuz in der Hand und dem festen Entschluss, die Kunde von der Zerstörung hier am Grubenrand, aber auch die Hoffnung auf ein gutes Leben für alle, durch das Land zu tragen.
Ausgehend von dort, wo ein Endlager geplant war für Jahrtausende strahlenden Müll, der für einmalige Stromgewinnung angefallen ist, bis hierher nach Keyenberg und Lützerath, wo ganze Dörfer für immer zerstört werden sollen, um Kohle zu fördern, die dann auch nur einmal verbrannt werden würde. Wir hoffen, dass ihr den Schock über die unfreundliche Behandlung, die euch gestern durch die „Sicherheitskräfte“ unseres Landes widerfahren ist, überwunden habt, dass es euch allen gut geht und die Ereignisse euch und uns alle stärker daraus hervorgehen lässt bzw. lassen.
Ein Dank geht an alle, die hier immer wieder mit uns Wacht halten, uns zu Gottesdiensten, Spaziergängen oder auch einfach nur so immer wieder besuchen und so ein Teil von uns sind. Ihr seid hier immer willkommen.
Eine Mahnwache über ein Jahr aufrecht zu halten, geht nur, wenn immer Menschen da sind an diesem Ort, an jedem Tag und in jeder Nacht. Ich bin ja selbst meist nur ein Wochenend-Lützerather und daher richtet sich mein besonderer Dank an alle die Menschen, die hier auch immer unter der Woche präsent waren und sind, auch dann, wenn hier nur wenige Menschen vor Ort sind, wenn es stürmt oder in Strömen regnet und hagelt, oder auch damals im Winter, als es hier auf dem Präsentierteller nicht immer besonders angenehm war.
Vielen lieben Dank für eure und unser aller Wacht zur Mahnung an das, was geschehen ist und das, was uns alle hier bedroht.