"Wo alles tot zu sein scheint, sprießen wieder überall Anzeichen der Auferstehung hervor." (Papst Franziskus)

Überlegungen und Kontextualisierung für den Ostermontags-Gottesdienst an der Kante
am 18. 4. 2022

 

„Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.

Thomas, genannt Didymus (Zwilling), einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht. Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder versammelt und Thomas war dabei. Die Türen waren verschlossen. Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger aus – hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“

Nach der tiefen Bedrückung des Karfreitag haben wir heute die entgegen gesetzte Realität im Kern der christlichen Bibel gehört: Jesus kehrt aus dem Tod und aus dem Grab zurück, die Hinrichtung am Kreuz ist nicht aufgehoben, aber überwunden. Aus der Perspektive einer sozialen Bewegung mit ihren Höhen und Tiefen hier an der Kante will ich heute die Männer um Jesus herum in den Blick nehmen und da den heute vor allem erwähnten Thomas.

Anfangen aber werde ich mich Judas Iskarioth. Judas gilt gemeinhin als der dreckige Verräter, dem es ums Geld ging. Alleine die Tatsache, dass er das Geld im Grunde nicht annahm und Selbstmord beging, deutet auf etwas anderes hin. Judas war wohl ein Zelot, einer der sich unbedingt für einen Aufstand mit Waffen gegen die Römer einsetzen wollte. Von Jesus enttäuscht, mag er einen Show-Down provoziert haben wollen. Jesus möglicherweise immer noch übermächtige Kräfte zutrauend, provozierte er in dieser Lesart eine Konfrontation mit den Vollstreckungsbeamten des Hohen Rates, damit Jesus gezwungen sei, sich massiv gegen diese durchzusetzen und der erwünschte Aufstand gegen die Römer dadurch als Eskalation herbei geführt würde. Judas hatte in dieser Lesart seine eigenen Pläne und wollte Jesus für diese instrumentalisieren. Jesus taugte wohl nicht zur Instrumentalisierung.

Als nächstes wäre da Petrus. Bei der Abschiedsfeier, dem letzten Abendmal, beteuert er noch seine unbedingte Loyalität und Treue zu Jesus persönlich und zu Jesu Bewegung. Jesus sagt ihm die Unfähigkeit zu dieser Treue auf den Kopf zu. Völlig nachvollziehbar und für die weitere Entwicklung nicht dumm, aber für einen Moment beschämend illoyal, bricht Petrus in Tränen aus, als er kapiert wie eingegrenzt seine Treuefähigkeit, seine Loyalität angesichts der massiven Ungerechtigkeit ist.

Die Entwicklung verdichtet sich von der Bedrohlichkeit zur Tötlichkeit, verkehrt sich in Auferstehung und Erlösung, in niemals erwartbare Hoffnung. Wir müssen uns die Schar der Jesusfreund*innen als hochgradig verwirrt und überfordert vorstellen. Auf alle Fälle bleiben sie zunächst vorsichtig unter sich, versuchten zu vermeiden, dass die Weiterexistenz der Bewegung bekannt würde, gerade nach den ersten Nachrichten vom leeren Grab und dann taucht er auf: Gezeichnet von der Todesfolter, gleichwohl lebendig und wirklich da. Einer fehlt beim ersten Hinzutreten Jesu selber zur Gruppe der Jesusfreund*innen. Das Narrativ vom ungläubigen Thomas steht nicht für ihn, es steht für uns alle. Thomas ist zutiefst vernünftig. Er lebt in einer extrem verunsicherten Gruppe, in welcher alle Mitglieder in den letzten Stunden und Tagen emotional und körperlich absolut durch den Wolf gedreht worden sind. Mir wurde das klar, was das bedeutet haben muss, als ich in Jerusalem vom orthodoxen Viertel über Bethanien, Golgotha, den Tempelberg, Getsemani hinweg guckte und der Führer uns klar machte, wieviel diese Gruppe seit Palmsonntag zu Fuß zurückgelegt hatte: die waren auch körperlich zutiefst erschöpft. Alles ist im Eimer, Thomas musste irgendetwas besorgen und als er in das Asyl der verfolgten Gruppe zurück kommt, erzählen ihm die anderen der Getötete sei aufgetaucht. Es geht ihm darum, in einer unübersichtlichen Situation Realist zu bleiben. Vielleicht hat er auch ein Gefühl, dass alle durchdrehen und es nun auf ihn ankommt, weiteren Schaden einzugrenzen. Deshalb sagt er mit Bedacht und zur Abwehr von Gruppenhalluzinationen, vielleicht auch von Täuschungen: Das Ganze, was ihr erzählt, kann nur Realität sein, wenn es mit den Händen anpackbar ist. Der Rest ist die zentrale biblische Geschichte. Jesus kommt und macht sich anpackbar.

Thomas steht eigentlich für uns alle, die wir nicht den auferstandenen Jesus sehen können. Thomas ist der gesunde, vernünftige Mensch, der Spinnereien und gefährliche Trügniseuphorien vermeiden will. Was sagt uns Thomas hier an der Kante: Wir sollen vor allem dem trauen, was für uns wirklich erfahrbar ist, was für uns anpackbar ist. Dann wird für uns als Jesusbewegung, bzw. für die von uns, die sich als Jesusbewegung verstehen, das anpackbar werden, was uns derzeit absurd und völlig abwegig erscheint: Dann könnte es zur Erlösung kommen und Lützerath bleibt. … und ordnen wir das Geschehen an der Kante nochmal in diesen Reigen scheiternder Männer ein: Judas will eskalieren, weil er auf die übermächtige revolutionäre Kraft Jesu nach seinen Plänen vertraut. Ich möchte nicht ausschließen, dass ich genau das hier auch schon gewollt habe. Petrus nimmt das Maul über seine Loyalität und seinen Kampfeswillen viel zu voll, und steht am Ende weinend vor einem Scherbenhaufen. Ich meine mich selber hier in Ansätzen hier auch schon so verhalten zu haben

Thomas glaubt „Unglaubwürdiges“ nicht und geht der Sache mit Forderungen nach „haptischen“ Beweisen auf den Grund. Diese Erzählung ermutigt uns, uns mit Gelassenheit auch im kommenden Jahr auf den Weg zur Erlangung des unglaubwürdigen Erhofften, der Beendigung der Braunkohleverstromung hier an der Kante und dem Erhalt Lützeraths zu widmen.

Um es noch mal mit Negens Worten vom Karfreitag am Ostermontag zu wiederholen:
NÄCHSTES JAHR IN LÜTZERATH!