1. August 2021: Predigt von Superintendet Jens Sannig

bei der Ankunft des Kreuzes an der Eibenkapelle Lützerath

Wenn man hier vorne steht und auf die Kante guckt, ist das ein faszinierendes Bild. Denn dieser Widerstand hier vorne bricht das, was da hinten passiert, davon bin ich überzeugt, ganz herzlichen Dank!

Und was uns hier so Mut macht ist, dass wir nicht mehr hier alleine sind in dieser Region, sondern dass Ihr Euch aus dem Wendland aufgemacht habt bis hier. Dass dieser Pilgerweg durch ganz Deutschland geht und die Menschen allmählich verstehen: Das was hier passiert, hat mit Gottes Schöpfung nichts zu tun.

Der Pilgerweg kommt hier an sein Ende, und ich sage erst einmal im Namen des Kirchenkreises Jülich für den ich stehe – ich bin Superintendent, also der leitende Geistliche oder sowas wie der Bischof für die Evangelischen, das ordnet das dann ein für diese Region – der Kirchenkreis Jülich sagt erst einmal Danke, dass Ihr Euch auf den Weg gemacht habt.

Ein Kreuzweg für die Schöpfung.

Eine große Solidaritätsbekundung der Menschen aus dem Wendland, die Euch selber erinnert hat an die Jahre 1988, als wiederum aus Wackersdorf sich Menschen auf den Weg gemacht haben nach Gorleben, um zu zeigen, Ihr steht da nicht alleine in Eurem Widerstand. Es ist unser Widerstand. Und so ist der Widerstand der Lützerather und Keyenberger zum großen Widerstand geworden. Ihr habt eine Menge bewegt auf diesem Wege, herzlichen Dank.

Und damals wie heute findet dieser Kreuzweg eine breite Unterstützung bei Kirchen, Initiativen und Organisationen, bei allen, die sich dem Klimaschutz verschrieben haben.

Aber war das ein Gottesdienst, den die vielen, vielen Pilger*innen unterwegs gefeiert haben? Oder war es eine politische Protestveranstaltung? So war zuletzt auf dem Weg gefragt worden. Und manche von Euch haben schmerzliche Erfahrungen auf diesem Weg gemacht. Und der religiöse Charakter des Pilgerweges wurde in Frage gestellt und Fahnen und Spruchbänder als politische Äußerungen verurteilt.

Ist das ein Gottesdienst, den wir heute hier feiern in Lützerath zum Abschluss des Pilgerweges, wo die Bedrohung von Menschen, Heimat, Landschaft und Kulturgut unmittelbar am Rande des Tagebaus Garzweiler II ja mit Händen zu greifen ist? Ihr müsst nur greifen in die Erde, dann wisst Ihr, was hier geschieht.

Ist das ein Gottesdienst oder eine politische Abschlusskundgebung – eine politische Protestveranstaltung? Wie sollte das von unserem Glauben her unterschieden werden können?

Sind hier mit der Natur, der Landschaft und dem Lebensraum nicht auch Gottes Schöpfung bedroht?

Und wer im christlichen Gottesdienst das Glaubensbekenntnis spricht und bekennt:

"Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde", die erklären ihre Mitverantwortung für alles, was diese Schöpfung Gottes bedroht. Wo immer der Zusammenhang der von Menschhand geschaffener Naturzerstörung und Vernichtung wertvollen Lebensraums ersichtlich werden, da sind Christinnen und Christen nach ihrem Glauben gefragt.

Und das betrifft eben nicht nur die Zerstörung des Regenwaldes oder das Abschmelzen der Gletscher und Polarkappen, sondern das betrifft auch hier unsere Heimat, das betrifft auch das Rheinische Revier und seine Tagebaue.

Als Kirchen sagen wir schon seit über 40 Jahren Nein zu dieser Landschaftsvernichtung und Bedrohung des Weltklimas, die von der Verbrennung der Kohle ausgeht. Und da sitzen welche dabei, die waren auch vor vierzig Jahren schon dabei, als hier in Erkelenz erklärt wurde, wir wollen das nicht, wir wollen keine verbrannte Heimat.

Ist das jetzt zu politisch gesprochen?

Wenn das Abschlussdokument der Amazonas Synode der katholischen Kirche in Rom 2019, angesichts der gigantischen Vernichtung des Regenwaldes, eine klare ökologische Umkehr fordert, weil Menschenrechte für Christinnen und Christen nicht optional, sondern eine Verpflichtung des Glaubens sind, ist das dann ein politischer oder ein Glaubenssatz?

Es ist ein politischer Satz und ein Glaubenssatz zugleich und beides kann voneinander gar nicht getrennt werden.

Politisch mag es klingen wenn ich sage, was hier mit den Tagebauen – wider besseren Wissens – noch bis 2038 passieren soll, ist ein Verbrechen – ein Umweltverbrechen an den Menschen, der Landschaft und an zukünftigen Generationen.

Mein Glaube - begründet in der Heiligen Schrift, sagt, es ist eine Sünde. Eine Sünde gegen Gott, gegen meinen Nächsten, gegen die Gemeinschaft und Umwelt, die alle Kinder Gottes genannt werden.

Aber beide Sätze meinen dasselbe: Mensch besinne dich und kehre um!

So schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom:

"Die ganze Schöpfung wartet doch sehnsüchtig darauf, dass Gott die Herrlichkeit seiner Kinder offenbart.

Denn die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen –allerdings nicht durch eigene Schuld. Vielmehr hat Gott es so bestimmt. Damit ist aber eine Hoffnung verbunden:

Denn auch die Schöpfung wird befreit werden aus der Sklaverei der Vergänglichkeit. Sie wird ebenfalls zu der Freiheit kommen, die Gottes Kinder in der Herrlichkeit erwartet.

Wir wissen ja: Die ganze Schöpfung seufzt und stöhnt vor Schmerz – bis heute.

Und nicht nur sie: Uns geht es genauso!"

Denn wir warten ebenso darauf, dass Gott uns endgültig als seine Kinder annimmt.

Und die Schöpfungsgeschichte zu Beginn unserer heiligen Schrift spricht von der Ebenbildlichkeit des Menschen als dem Ebenbild Gottes. Und das heißt, dass wir als Menschen von Gott bestimmt sind, den Umgang mit seiner Schöpfung unmittelbar zu verantworten. Als Mitgeschöpf aber haben wir den Auftrag, mit unserer Mitwelt sorgsam und verantwortlich umzugehen. Davon ist hier nichts zu sehen.

Es ist eine Frage unseres christlichen Glaubens, was wir mit den Menschen, dem Boden und der Natur hier anstellen. Und darum gehört zu unserem Sündenbekenntnis auch ein Schuldbekenntnis.

Beides endet in Gottes Ruf zur Umkehr. Noch ist es nicht zu spät. Auch wenn die Zeit zur Umkehr immer knapper wird.

Noch können wir der totalen Klimakatastrophe und dem Kollaps der gesamten Menschheit entgegenwirken. Das Klimaschutzabkommen von Paris hat das Ziel vorgegeben. Und wissenschaftliche Gutachten haben längst berechnet: Wenn die Massnahmen von Paris Erfolg haben sollen, dann darf, dann braucht die Kohle unter den Dörfern hier am Rande des Tagebaus nicht mehr abgebaggert werden.

Dann muss auch nicht ein Dorf Lützerath für die anderen Dörfer geopfert werden. "Alle Dörfer bleiben" heißt: Alle Dörfer bleiben.

Denn energiepolitisch gibt es keinen Grund, auch nur noch ein Dorf wegzubaggern. Es braucht nur menschlichen Willen und menschliche Ingenieurleistung, das zu vollbringen.

Wer will denn erklären müssen, dass hier Dörfer, Häuser, Kirchen, unsere Kapelle, dass hier Höfe bewußt mit Baggern abgerissen und zerstört werden.

Für eine Energie, die mit ihrem gigantischen CO2 Ausstoss und der Schädigung des Klimas aller Wahrscheinlichkeit nach mitverantwortlich ist, für den menschengemachten Klimawandel, der solche Wetterphänomene wie Starkregen hervorruft, die zur Zerstörung von ganzen Dörfern und Stadtteilen, Häusern und Kirchen führt, wie wir es schmerzlich in dieser Zeit in den Nachbarregionen erlebt haben. Das ist doch widersinnig, hier noch Dörfer für diese Energie abzureißen und das darf um Gottes Willen nicht länger sein.

Denn die ganze Schöpfung ist ein Geschenk Gottes, wie es der 104 Psalm in unserer Bibel eindrücklich besingt. Aber die Schöpfung Gottes ist auch eine Aufgabe.

Sie wertzuschätzen, sie zu schützen und sie so zu bearbeiten, dass Mensch und Natur in Einklang sind und auch zukünftige Generationen sich noch an diesem Geschenk erfreuen können.

Stefan Brunnhuber schreibt in seinem Buch: Die Kunst der Transformation – Wie wir lernen, die Welt zu verändern:

– und damit will ich schließen – er schreibt:

"Wachstum und Technik sind ... kein Selbstzweck sondern immer Mittel zum Zweck.

Und der Zweck ist, dass wir ... glücklicher, gesünder, gerechter und nachhaltiger zusammenleben.

...Das Neue entsteht letztendlich immer im Denken, nicht in der Empirie, nicht in der Statistik, nicht in den Technologien und nicht im Wachsen.

...Wir können eine andere Welt denken, in der alle ihren Platz finden.

...wir können nur das wirklich wollen, was wir zuvor richtig gedacht haben. Schließlich werden wir nur das denken können, was wir zuvor geträumt haben.

Wir sind wohl die erste Generation, die all diese Probleme vor sich sieht – aber wahrscheinlich zugleich die letzte, die die Welt grundlegend ändern kann."

Darum Ihr Lieben, die Veränderung der Welt beginnt für uns hier: In Lützerath am Rande des Tagebaus, in Hambach, am Rande des Tagebaus. Das verbindet uns.

Und wenn hier das Dorf und alle andern hier erhalten bleiben und der Wald, wird Neues Zukunft gewinnen im Alten.

Im Glauben an Gottes Verheißungen

gewinnen unsere Visionen Zuversicht.

Bilder des Lebendigen werden zu mehr,

als zu Tagträumerein.

Sie werden zur Überzeugung,

dass jenseits unserer Zeit

das Reich Gottes wartet,

das aber schon heute mitten unter uns anbrechen will.

Ihr sorgt mit Eurem Weg, mit Eurem Engagement, mit Eurem Willen dafür, dass dieses Reich hier, in unserer Region, anbrechen kann. Ich danke Euch für all Eure Mühen.

AMEN!